Liebes Volk,
Vor Kurzem ist mir etwas Wahnsinniges passiert. Ich war in der Dentalhygiene. Gut, das ist noch nicht das Wahnsinnige. Wobei: Kommt darauf an, wie oft ich zur Dentalhygiene gehe, nicht wahr. Denn es gab tatsächlich eine Zeit, da hatte ich sehr lange keinen Zahnarzt. Einerseits, weil ich kein Problem mit den Zähnen hatte und andererseits, weil ich damals in Fribourg wohnte. Da hätte ich ja mit der Zahnärztin französisch reden müssen – und ganz ehrlich: Das ist einfach zu riskant! Wahrscheinlich hätte ich versucht zu sagen, dass ich wieder das „Zaasidälä“ vergessen hätte und sie hätte verstanden, dass ich gerne meinen Kiefer dreimal gebrochen bekommen hätte. Was nicht schlecht passen würde, denn wenn ich französisch rede, klingt es ein wenig so, als hätte ich meinen Kiefer drei Mal gebrochen. Abgesehen davon sind aber Kommunikationsprobleme eigentlich kein valabler Grund, nicht zur Zahnärztin zu gehen. Schliesslich wissen wir ja: Zahnärzt*innen kommunizieren mit uns Normalsterblichen am liebsten, wenn wir den Mund sperrangelweit offen und voll mit Geräten haben. Die Sprache spielt also keine Rolle.
Wie dem auch sei, mittlerweile gehe ich regelmässig zur Dentalhygiene und dort ist mir kürzlich etwas Wahnsinniges passiert: Die Dentalhygienikerin schaut mir in den Mund und sagt: „Au gell… Sie hend idä Zwüscheziit Zaasidä benutzt?“ Und ich bin natürlich irritiert. Ich benutze doch keine Zahnseide! Kein normaler Mensch benutzt Zahnseide! Darum gehen wir auch immer mit schlechtem Gewissen zur Dentalhygiene. Also die meisten von uns. Und mit den anderen will ich nichts zu tun haben! Leute, die mit einem guten Gefühl zur Dentalhygiene gehen, sind mir unheimlich. Leute, die zur Dentalhygiene gehen, um zu performen, sozusagen. So ein Typ, der das ganze Jahr auf diesen Moment hintrainiert, mit Zahnseide, Zahnbürste, Mundspülung, mit „nicht Zähne putzen, wenn du vorher einen Apfel gegessen hast“ und all dem Zeug. Und dann geht er zur Dentalhygienikerin, sie schaut rein und schaut und schaut und findet nichts, haucht nur einmal den einen Schneidezahn an, poliert ihn mit einem Mikrofasertuch und sagt: „Das hend Sie ganz fain gmacht, ganz än Fainä sind Sie!“
Und dann bietet sie ihm zur Belohnung einen Lolli an und er sagt: „Nai danke, da isch nöd guät fürd Zää!“ und dann geht die Tür auf, alle klatschen, Standing Ovations, es gibt einen Knall und Konfetti und Glitzer und Indoor-Feuerwerk und die Dentalhygienikerin sagt: „Bravo! Sie hend gwunnä! Scho wider! Ich gratulier Ihnä zu 5 km-Gratis-Zaasidä!“
Undsoweiterundsofort, keine Ahnung, wie das abläuft, mir ist das noch nie passiert. Denn ich benutze nie Zahnseide. Und warum nicht? Weil ich kein verdammter Psychopath bin! Wie gestört gut musst du organisiert sein, dass du jeden Tag Zahnseide benutzt? Karl Lagerfeld soll einmal gesagt haben: „Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren“. Was für mich völlig okay ist, ich meine, wer hat schon Kontrolle über sein Leben. Aber Leute, die täglich Zahnseide benutzen, haben zu viel Kontrolle über ihr Leben! Wenn Sie bei Freund*innen zuhause Zahnseide im Bad sehen: Rennen Sie weit weg!
Leute, die Zahnseide benutzen, haben ihr Leben so sehr im Griff, dass ich ihnen zutraue, eine Leiche spurlos zu entsorgen. Wer keine Spuren zwischen seinen Zahnzwischenräumen hinterlässt, hinterlässt auch keine Spuren am Tatort.
Die Dentalhygienikerin schaut mir also in den Mund und sagt tatsächlich: „Gell… Sie hend idä Zwüschezit Zaasidä benutzt?“ und ich denke: Ist das jetzt eine Fangfrage…? Doch ich sehe in ihrem Blick keinen Ansatz von Hinterlist und sage dann ganz vorsichtig: „Jo…?“
Und sie schreit: „HAHAAA! LÜGNER! *FRRRRFRRRRR* DU CHLINÄ DRECKIGÄ LÜGNER! *FRRRRFRRRRR* VALERIE! GIB SIE MIR DÄ GRÖSCHTI BOHRER WOD HÄSCH *FRRRRFRRRRR*
Darum, liebes Volk, lassen Sie es sich gesagt sein: Benutzen Sie Zahnseide. Oder lügen Sie Ihre Dentalhygienikerin nicht an. Denn Ihr Leben hängt am seidenen Faden.
Es grüsst Sie, auf dem Zahnfleisch gehend
Ihr Kaiser