Jordi-Beitragsbild

Jedem Bild seine Geschichte: Erna Jordi gibt ihren Kunstladen an der Blumenstrasse auf

Mit 82 Jahren gibt Erna Jordi ihr Kunstgeschäft an der Blumenstrasse Ende Jahr auf. Damit verabschiedet sich eine der ältesten Goldacher Gewerblerinnen – die ihrer Zeit stets voraus war.

Wenn Erna Jordi in ihrem in dunkelrotes Leder eingefassten Album blättert, kommt sie ins Erzählen. Und ins Schwärmen. Auf jeder Seite hat ihr ein Künstler oder Künstlerin eine Zeichnung, Widmung oder ein Autogramm hinterlassen. Tiermotive, Bleistiftzeichnungen, wilde Farbklekse. Für diese Kunstschaffenden hatte Erna Jordi einst Vernissagen organisiert oder Bilder eingerahmt. Darunter finden sich grosse Namen der Szene wie Dimitri, Rolf Knie, Günther Uecker oder Anthony Quinn. Das Album ist dick. Hinter jedem Eintrag steckt eine Geschichte. Es ist eine Zeitreise durch das Leben der wohl ältesten noch aktiven Goldacher Gewerblerin. Ende Jahr schliesst Erna Jordi dieses Kapitel ab. Dann gibt sie ihren Kunstladen an der Blumenstrasse 20 auf.

Eine weisse, runde Markise über der Tür, Malereien im Schaufenster, der Schriftzug: «Kunstgewerbe E.Jordi» am Fensterglas: Während sich das Bild der Blumenstrasse in den vergangenen Jahrzehnten markant verändert hat, während neue Geschäfte gekommen und wieder verschwunden sind, ist Erna Jordis Kunstladen geblieben. Bis heute. Das heimelige Lädeli ist Zeuge der Vergangenheit, als die Blumenstrasse noch Goldachs wichtigste Einkaufsstrasse war, an der sich Geschäft an Geschäft reihte. «Hier fand damals sogar der Frühlingsmarkt statt», erinnert sich Erna Jordi. «Das war wahnsinnig schön.»

Vom Bürojob zum Kunsthandel

Der Kunsthandel war nicht die erste Station in Erna Jordis Arbeitsleben. Als sie mit Mann und Baby in den 70er-Jahren nach Goldach zügelte, trat sie zuerst einen Bürojob bei der Agra an. Ihren halbjährigen Sohn Marcel nahm sie mit zur Arbeit, schöppelte ihn zwischendurch. Nachdem ihr zweiter Sohn Roger zur Welt kam, widmete sie sich Vollzeit Familie und Haushalt. Und merkte: Ihr fehlte etwas. So kam ihr eine Idee: Erna Jordi wollte ein Geschäft eröffnen, in dem Frauen aus Goldach ihre Bastelarbeiten verkaufen konnten. «Basteln war damals schwer in Mode», sagt sie. Gesagt, getan – am 25. Oktober 1979 feierte Erna Jordi die Eröffnung ihres «Raritätenlädeli» an der Blumenstrasse 24.

Im Dorf wurde das mehr als skeptisch beäugt.

«Ich hatte mich als zugezogene Frau selbständig gemacht. Das war damals nicht selbstverständlich. Bis mich die Goldacher akzeptiert hatten, dauerte es eine Weile.»

Erna Jordi

Erna Jordi liess sich nicht beirren. Sie vernetzte sich im Gewerbeverband, verkaufte ihre Waren an der WUGA und erweiterte ihr Sortiment. Holzspielsachen kamen dazu, zum Beispiel kleine Kuhfiguren. Doch als die Ära der Warenhäuser anbrach, konnte Erna Jordi mit ihren Preisen nicht mehr mithalten. Sie orientierte sich neu. Wenige Häuser weiter mietete sie ihr heutiges Ladenlokal und konzentrierte sich fortan auf das Kunstgewerbe.

Ausstellungen mit Andrang

Erna Jordi besuchte selber Ausstellung für Ausstellung und knüpfte Kontakte. Ihr Gespür für Kunst zahlte sich aus. Als eine der ersten Kunstläden nahm sie etwa Rolf Knies Bilder auf und verkaufte sie in ihrem Laden. Dann, eines Tages der Anruf von Knies Ehefrau: Sie brauche die Bilder zurück. Man könne nun das Dreifache dafür verlangen.

Erna Jordi hat nicht nur erfolgreich mit Kunst gehandelt und Bilder eingerahmt, sie hat auch zahlreiche Ausstellungen organisiert: auf Schloss Wartensee und Schloss Schwarzenbach bei Wil, im Stadttheater St. Gallen oder im Hotel Bad Horn. Auf die Unterstützung ihres Manns Marcel und jene ihrer Kinder konnte sie zählen. Ihre Söhne Marcel und Roger begleiteten sie gerne zu den Ausstellungen, Roger half wenn nötig mit beim Englisch übersetzen.

Besonders in Erinnerung geblieben ist ihnen die Vernissage der deutschen Schauspielerin Ruth Maria Kubitschek. Diese kam für eine Ausstellung mit Autorenlesung im März 1995 nach Goldach. «Die Leute standen vor dem Rathaus Schlange. Wir mussten immer mehr Stühle dazustellen», erzählt Erna Jordi. Ein voller Erfolg.

Ein Dankeschön für die gelungene Ausstellung: Ruth Maria Kubitschek verewigte sich in Erna Jordis Album.

Letzte Chance zum Stöbern

Dass es ihren Laden bald nicht mehr geben wird, an diesen Gedanken hat sich Erna Jordi noch nicht so richtig gewöhnt. «Noch fühlt sich alles weit weg an.» Ein paar Tränchen sind bereits geflossen. Mit Familie und Freunden soll eine kleine Feier zum Abschied steigen. Bis es soweit ist, geniesst sie nun die letzten Wochen als Gewerblerin. Bilder sind noch einige da. Wer stöbern möchte, dem sei ein Besuch wärmstens empfohlen. Zu reduzierten Preisen gibt’s für jeden Geschmack ein Werk – und die Geschichte dahinter gratis dazu.

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